Gelingt es ihnen noch ganz locker in die Hocke zu gehen oder können Sie noch am Boden auf allen Vieren vorankommen leicht und elegant wie ein Kleinkind?

Viele meiner Klienten nehmen es als selbstverständlich hin, dass diese einfachen Aktivitäten mit zunehmendem Alter nicht mehr problemlos möglich sind. Manchmal bemerken sie es auch nicht und sind überrascht, wenn es ihnen nicht mehr gelingt über längere Zeit und ohne Anspannung mit gestreckten Beinen oder sogar im Schneidersitz ohne sich aufzustützen am Boden zu sitzen.

Abgesehen von Verletzungen ist jedoch der Verlust dieser grundlegenden körperlichen Fähigkeiten nicht einfach dem Alter anzulasten – sondern eher unseren Gewohnheiten. Gewohnheiten und einer gesellschaftlichen Prägung, welche bereits im Kindesalter seinen Lauf nimmt. 

Babys beginnen ihre elementaren Bewegungserfahrungen (zumindest in unserer westlichen Welt) auf dem Boden. Die ersten Bewegungen haben zum Ziel sich umzuschauen, was um sie herum geschieht. Bald schon rollen die Kleinen auf den Bauch, stützen sich in der Seitlage auf den Armen und es dauert nicht lange kriecht und krabbelt das Baby los. Viele Zwischenschritte sind hierzu notwendig, spielerisches Ausprobieren, wieder zurückfallen bis so ein kleiner Wurm schliesslich beginnt sich vom Boden weg hochzuziehen und die ersten noch stolpernden Schritte tut. Für das Kind ist dies alles ein Spiel – ein durchaus ernsthaftes – jedoch ein von ihm selbst gesteuertes Spiel. Die Energie eines gesunden Kindes kann darin unerschöpflich sein.

Die darauf folgenden Jahre werden die Kleinen zu regelrechten Forschern. Haben Sie einmal gezählt, wie oft ein kleines Kind pro Stunde in die Hocke geht um zu untersuchen, was da liegt? Bei all diesen Aktivitäten erfährt das Kind nicht nur, wie dieser Käfer genau aussieht, sondern auch immer mehr über seinen eigenen Körper und wie es diesen noch leichter „steuern“ kann.

Dann gehen die Kinder zur Schule und lernen…. zu sitzen. Wir nutzen unseren Körper zu einem grossen Teil noch um unseren Kopf irgendwohin zu tragen und diesen zu füllen.

Um dem entgegenzuwirken werden die Kinder ermutigt sich zu bewegen und Sport  zu machen und viele dieser frühen sportlichen Aktivitäten machen viel Spass. Es sind Spiele die weiter dazu helfen, den Körper zu erkunden und die Art, wie wir uns bewegen.

Bilder: Manfred Ziegele aus „unerwartete Zusammenhänge“ Aktuelle Ausstellung EB Zürich http://www.eb-zuerich.ch/blog/fotoausstellung-manfred-ziegele.html (Das Bild wurde mir persönlich zur Verfügung gestellt)

Bald jedoch werden Kinder ermutigt sich in einer gewissen Sportart zu spezialisieren. Anstelle weiter neue Fähigkeiten zu erforschen und sich auf natürliche Weise zu bewegen, üben diese Kinder einige wenige sportspezifische Dinge ein und wiederholen diese immer und immer wieder.

Als Vorbilder hierzu dienen uns häufig Athleten, welche wir am Fernseher beobachten und bewundern. Was mich hierbei beschäftigt ist die Tatsache, dass viele Menschen Zeit aufwenden um andere Menschen zu imitieren, welche an einer sportlichen Spitze sind und den grössten Teil ihres Lebens mit dem Training dazu verwenden. Wobei wir „normalen“ Menschen den Aufwand, den Hintergrund, den Aufbau und Zeitaufwand hierzu nicht einmal richtig sehen oder beobachten können.
Denn würden wir dies sehen, käme die Erkenntnis wie vielfältig ein Sportler seinen Tagesablauf gestaltet und wie vielfältig auch der Teil des Bewegungslernens darin vorkommt.

Damit solche Kicks leicht gelingen wie hier bei Patrik Wolf ist nicht nur jahrelanges Training notwendig sondern vor allem ein ausgezeichnetes Körpergefühl und eine hohe Flexibilität www.invictus-training.ch

Für viele von uns wäre es besser, wir würden bei den spielerischen sportlichen Aktivitäten bleiben und ja diese dürfen auch einen gewissen Wettkampfcharakter haben – jedoch sollten wir nicht versucht sein, sportliche Leistung ohne die dazu notwendigen Grundlagen anstreben zu wollen durch alleinige Wiederholung, Wiederholung, Wiederholung von stereotypen Abläufen. 

Bevor wir also zu Gewichten greifen, unsere Glieder verrenken oder gar Schmerztabletten schlucken um weiter zu joggen, sollte es uns möglich sein mit unserem Körper umgehen zu können! Genauso wie wir es noch konnten, als wir kleine Kinder waren.

Für den Verlust dieser grundlegenden Bewegungsfähigkeiten und dem Streben nach einem von aussen vorgegebenen imaginären Ideal bezahlen wir einen hohen Preis, meistens physisch, jedoch bei chronischen Beschwerden rasch auch psychisch.

Viele der frühkindlichen Bewegungen dienen einem ausgeklügelten Plan. Zum Beispiel das Überkreuzmuster des Kriechens. Die gegenüberliegende Hand bewegt sich gleichzeitig wie der gegenüberliegende Fuss. Dieses diagonale Muster entspricht genau dem Gehen, nur in einer anderen Position und Geschwindigkeit. Beachtenswert ist auch die harmonische Kraftverteilung über den ganzen Körper.

Weil wir täglich in unserem früh angelernten und manchmal „ausgeleierten“ Muster laufen, fallen uns viele Details an uns selber nicht mehr auf. Vielleicht sehen wir gewisse Auffälligkeiten an anderen Menschen und denken, dass wir selber sicherlich nicht so plump oder ungelenk Gehen würden. Vor allem am älteren Menschen bemerken wir rasch, die Steifheit des Beckens.
Versuchen Sie jedoch einfach wieder einige Meter am Boden auf allen Vieren zu krabblen. Dies wirkt sich aus wie wenn Sie ihr eigenes Gehmuster unter der Lupe betrachten. Wie locker sind ihre Knie, wie frei die Hüftgelenke und das Becken? Wie geschmeidig die Knöchel und die Füsse? Wenn ihnen dieses Krabblen abgesehen von der Kraft in den Armen nicht mehr flüssig gelingt, so erkennen Sie auf diese Weise die deutlichen Zeichen des Verlustes.

Oft können wir im Gehen durch unsere Gewohnheit diese ersten Anzeichen der Unbeweglichkeit noch überspielen, schliesslich fallen wir ja nicht einfach um. Jedoch sind es genau diese Anzeichen, welche uns früher altern lassen und zu Beschwerden, wenn nicht gar zu Verletzungen führen. Meine Frage an viele meiner Klienten ist dann auch oft: In welchem Zustand möchten Sie 70 oder 80  Jahre alt werden? Und ich staune, wie viele Menschen sich zwar gerne bis ins hohe Alter fit halten möchten, jedoch hinnehmen, dass ihre Bewegungsfähigkeiten (und damit meine ich nicht nur die Fähigkeit sich zu dehnen) abnehmen alleine dadurch, dass sie das Potential ihrer Bewegungen regelrecht verschenken.

Eine mögliche Antwort auf diesen Verlust der Bewegungsqualität ist wieder in Kontakt zu kommen mit sich selbst durch Achtsamkeit und Wahrnehmung der eigenen Bewegungsvielfalt.

Um länger „jung“ zu bleiben empfehle ich daher immer wieder für eine kurze Zeit aus dem erwachsenen Bewegungsalltag auszusteigen. Die grösste Herausforderung dabei für mich als Feldenkraislehrerin ist es nicht, meinen Klienten Lektionen anzubieten.

Das Schwierigste ist es, meine Klienten wieder in das fröhliche, absichtslose und nicht wertende Bewegungsspiel einzuladen um sich selbst und seine Fähigkeiten wertungsfrei zu entdecken – meisterhaft wie es kleine Kinder auf natürliche Weise tun und uns damit immer wieder zu einem Lächeln verführen.