Es gibt Tage, an denen fühlt man sich nicht so gut, ist vielleicht traurig oder aufgebracht wegen eines Vorfalls.  Wenn eine Überforderungssituation  heftiger empfunden wird  können manche Menschen sogar sehr laut und wütend werden – oder aber sie ziehen sich eher zurück und werden stiller. 
Im besten Fall aber findet man dann einen Menschen, der wirklich zuhört, für einen da ist, der nicht wertet und seinem Gegenüber echtes Interesse entgegenbringt.  Du spürst, du kannst diesem Menschen deine Gefühle mitteilen und deine Ängste aussprechen, nur schon darüber zu reden tut gut und erleichtert die Seele.

Kindern geht es genauso. Es gibt Tage, da sind sie traurig, weil vielleicht der Freund nicht mehr mit ihnen spielen möchte oder sie sorgen sich, weil die Eltern sich streiten oder gar trennen. Vielleicht ist der Kindergarten oder die Schule noch so neu und fremd, die vielen Regeln einzuhalten fällt ihnen vielleicht noch schwer. Deswegen sind diese Kinder nicht therapiebedürftig oder gar krank.

Kinder sprechen jedoch nicht immer über Ihre Unsicherheiten. Ich höre kaum von Kindern: „Ich sorge mich um meine Zukunft, weil ich nicht weiss, ob ich in der grossen Kindergartengruppe mithalten kann“. Oder: „Ohne meine Mutter glaube ich es nicht zu schaffen“ (schon eher „will Mamma haben“).

Denn Kinder spielen „über ihre Sorgen“. Das tun sie ganz ernsthaft und intensiv. Damit meine ich jedoch nicht das Spiel auf dem Kinderspielplatz oder beim Legospiel nach Vorlage.

Mit der Angst geschnappt zu werden spielerisch umgehen (Bild Zollicuda)

Schon ganz kleine Kinder spielen zum Beispiel das Guggus-Dada-Spiel, ein Spiel, welches universell auf der ganzen Welt gespielt wird. Wenn ich verschwinde, werde ich dann gesucht?  Werde ich wieder gefunden? Das sind wichtige Fragen für so einen kleinen Menschen und gehören in die normale Entwicklung zur  Bewältigung der Ängste angesichts der grossen Welt absolut dazu. Solche Spiele der Angstbewältigung gibt es viele.

Die Familie zieht in ein anderes Land, das Kind spielt mehrere Wochen die Schnecke, die ihr Haus tragen muss und bittet mich darauf zu achten, dass ja kein Stück runterfällt (Zufall oder Angstbewältigung?) (Bild Zollicuda)

Martin zum Beispiel kommt in meine Psychomotorikstunde, weil er auffällt im Kindergarten. Er schreit die Kinder an. Reisst an den Haaren und beisst. In der Psychomotorikstunde jedoch baut er sich eine kleine Höhle, schlüpft fast sofort in die Rolle des Löwenbabys und möchte umsorgt, gefüttert und beschützt werden. Die Kinder gehen gutmütig auf diese Rolle ein. Es braucht einige Wochen (bei manchen Monate), bis Martin mehr und mehr aus dieser selbstgebauten Höhle rauskommt, in seinem Tempo mit den anderen Kindern mehr und mehr Kontakt aufnimmt, bis er schliesslich eines Tages auch einmal die Rolle des Beschützers für andere spielen kann.

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Werde ich erkannt, werde ich gesehen? (Bild Zollicuda)

Andere Kinder sind bereits so schüchtern, dass sie sich kaum mehr etwas zutrauen – im begleiteten Spiel erleben Sie ihre Stärken und lassen sich durch vermeintliche „Schwächen“ nicht zurückhalten  – – durch die vermehrte Aktivität  in der noch etwas geschützteren Umgebung verbessern sie so ihre motorischen und kommunikativen Fähigkeiten. Denn Bewegung und Sprache kann nicht passiv studiert, sondern muss handelnd erfahren werden.

Klettern probieren dürfen, wenn keiner schubst und drängelt (Bild Zollicuda)

In der Psychomotorikstunde  höre ich aufmerksam und wertungsfrei zu. Ich biete den Kindern einen Raum und mich als Begleiterin für diese Art  Spiel an – ein Spiel, welches vielleicht an anderen Orten nicht ganz akzeptiert wäre. Wenn ein 6-jähriger Junge noch ein Baby spielen möchte kann es eher geschehen, dass er hört: „Jetzt tu doch nicht so, du bist doch schon gross“. Auch sehr behütete Kinder können aus einer fast übertriebenen Sorge weniger aktiv sein, wobei dann die mangelnde Bewegungserfahrung fälschlicherweise als motorische Entwicklungsverzögerung gewertet werden kann, diese Kinder trauen sich mit der Zeit auch immer weniger zu.

Mit diesen unterschiedlichen Erfahrungen und Ängsten spielerisch umzugehen ist ein wichtiger  Bestandteil der kindlichen Entwicklung.

In diesen kleinen Gruppen mit maximal 6-7 Kindern, werden daher auch keine Diagnosen gestellt. Die Spiele werden auch nicht „Gelesen“ im Sinne einer Interpretation von Familienverhältnissen. Denn diese Spiele sind gesund, normal und tun einfach gut. Von einer Therapie ist daher in diesen Stunden für Kinder nicht die Rede.

Der zuvor geknetete Dinosaurier erhält vom Kind eine schützende Hülle (Bild Zollicuda)

Diese Stunden sind eine Art Unterstützung in der Entwicklung für Kinder, die noch ein wenig mehr Zeit benötigen um „sich selbst“ zu entdecken.  Und es ist eine Unterstützung in einer Welt, in der es immer weniger Plätze für nicht bewertete Kinderspiele gibt.  

In unseren Regelklassen sind Kinder in sehr gemischten und teilweise grossen Gruppen eingeteilt und werden entsprechend dem Durchschnitt beurteilt. Es existiert jedoch weder ein sogenannter Durchschnitt, noch existiert eine einheitliche Entwicklung der Kinder. Die möglichen Therapien sollten daher eher als eine Form der notwendigen Erweiterung des Klassenzimmers gesehen werden. Gelder werden aber in der heutigen Zeit dafür leider nur zur Verfügung gestellt, wenn entsprechende Diagnosen genannt werden. Dies kann zu einer Verfälschung der hilfreichen Unterstützung führen und einer Art „Therapitis“ welche Eltern wie Kinder gleichermassen verunsichert.

Eltern dürfen übrigens gerne auch kompetent mitreden, z.B. darum bitten, dass es bei einer oder maximal zwei unterstützenden Stunden bleibt, die Schule wird ihr Kind nicht zu einer Therapie „zwingen“ sondern diese nur empfehlen.

Interessanterweise sind jedoch andererseits Eltern kaum bereit für ihre Kinder eine Stunde zu buchen, welche nicht ziel- und leistungsorientiert gemessen werden kann.

Gehen wir zurück zu unserem erwachsenen Kollegen:

Wenn ein Freund nicht mehr sprechen kann über seine Sorgen, wenn er sich so sehr zurückzieht, dass niemand mehr an ihn herankommt oder wenn Ihr Kollege immer öfter rasch in Tränen ausbricht, wenn ein bestimmtes Thema zur Sprache kommt und das Gespräch sich über Monate im Kreis dreht…. Dann würden wir uns Sorgen machen. Wir würden versuchen diesem Freund oder Kollegen zu helfen, ihn oder sie ermuntern sich Hilfe zu holen. Manchmal braucht es dann viele gut tragende Beziehungen in der Familie, um wieder „Boden unter den Füssen“ zu bekommen.

So sorge ich mich auch um Kinder, die überhaupt nicht mehr ins Spiel finden, stumm danebenstehen (auch im Kindergarten oder der Schule), immer dasselbe Spiel wieder und wieder spielen „müssen“ ohne eine kleinste Änderung zulassen zu können. Dann kann es vielleicht sein, dass dieses Kind etwas mehr professionelle Unterstützung benötigt. Dann sind möglicherweise therapeutische psychomotorische Einzelstunden notwendig um auf dieses Kind und seine Spiele,  seine Nöte besser eingehen zu können. Und es braucht sicherlich die begleitenden Gespräche mit den Eltern und Lehrern, um ein tragfähiges Netz zu spannen, damit Veränderung wieder möglich wird und das Kind sich wieder öffnen kann.

In diesem Sinne wünsche ich allen Kindern einen oder mehrere Menschen  – im besten Fall sind es Eltern und Freunde und als Unterstützung auch Lehrer oder eben die Psychomotorikerin,  die Ihnen Zeit und Raum geben um zu zeigen:

      Komm, lass uns mal drüber spielen!

Ps:

Die Türe bleibt in unserem Spielraum meistens zu –es wäre doch etwas seltsam wenn bei einem wichtigen Gespräch mit einem Kollegen sich dann der Chef oder der Nachbar dazusetzt – um mal ein wenig zuzuhören, was den hier so gesprochen wird…