Mein Kind ist ein Aussenseiter…

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Vor einigen Monaten wurde mir ein 7-jähriger Junge vorgestellt mit den Worten – „mein Sohn ist ein Aussenseiter“. Die Mutter sorgte sich, weil er keine Freunde hatte und zu nichts zu motivieren war. Auch im Sportunterricht beteiligte er sich nur unwillig. Fussball hasste er geradezu. Seine Geschwister hatten diese Probleme nicht, allerdings stritt er sich häufig mit seinem älteren Bruder.

In der ersten Psychomotorikstunde kam Max (Name geändert) tatsächlich nicht sehr glücklich an. Er stand vor der Türe, wollte kaum guten Tag sagen und schaute mich nicht an. Stumm ging er an mir vorbei mit gesenktem Kopf.

Es dauerte einige Stunden, bis Max in sein eigenes Spiel fand. Anfangs baute oder spielte ich öfter auch für ihn und er schaute nur zu oder gab mir kleine „Befehle“ was ich zu tun hätte. Manchmal sah ich seine Wünsche auch nur in seinem Blick, mit dem er den anderen Kindern folgte oder vielleicht vermutete ich auch nur, was ihn locken könnte. Ein Aufleuchten in seinen Augen, wenn ich einen solchen Wunsch erfüllen konnte zeigte mir den Weg.

So gelang es nach und nach Max aus seiner Isolation zu begleiten, er begann mit mir zu bauen, mit mir ins Spiel zu finden und schliesslich sich auch den anderen Kindern gegenüber mit seinen Wünschen zu öffnen. Mit der Zeit konnte er auch damit umgehen, dass nicht alle seine Wünsche sofort erfüllt wurden und er sich trotzdem nicht zurückziehen musste – das echte Leben konnte Einzug halten in unseren geschützten Raum.

Nach einigen solchen Stunden mit zunehmendem Vertrauen fand ich es angemessen zu fragen, was ihn denn an den Sportstunden oder im Fussball so sehr störte. Die Antwort war so verblüffend wie einfach: „Ich kann es nicht“, alle anderen sind besser.“

Wir „spielten“ noch viele Wochen so weiter und ohne, dass Max gedrängt wurde oder ohne dass wir gezielt eine Sportart geübten hätten. Und doch… mit der Zeit berichtete die Mutter, dass Max nun öfter mitging, wenn sein Vater mit den Jungen unterwegs war. Dass er sich in Spielen mit anderen beteiligte und schliesslich war der Turnunterricht der Schule kein Problem mehr für Max. Dass er an solchen Stunden einmal nicht teilnehmen wollte, war kein Thema mehr für ihn.

Viele Kinder bewältigen die täglichen Anforderungen ohne Probleme – doch darf dabei nicht vergessen werden, dass die Wettkampfbedingungen in der heutigen Gesellschaft bereits in einem Alter beginnen, in dem die Kinder noch nicht einmal zu ihrer eigenen Körperlichkeit gefunden haben. Sie kennen noch kaum ihre eigenen Stärken oder Interessen und schon werden sie in Kurse gedrängt oder mit anderen verglichen. Begann dies früher mit der Schule sehen sich heute Kinder im Zeitalter der „Frühförderung“ bereits mit 3-4 Jahren solchem Wettkampfdenken ausgesetzt.

Kinder lernen sich selber am besten kennen im Spiel. Sie bewegen sich dabei in einem natürlichen Rhythmus von Ruhe und Aktivität. Sie klettern und springen, ohne dass wir sie dazu antreiben müssen. Sie kommunizieren, entdecken, verhandeln, sind frustriert und finden Lösungen und Kompromisse mit Gleichaltrigen zu gemeinsamen Ideen.

Wenn jedoch die Umwelt das Tun des Kindes manipuliert und nicht wertungsfrei moderiert oder begleitet, kann es leicht geschehen, dass ein Kind seine eigenen Wünsche nicht entdeckt, sich zurückzieht und an sich zu zweifeln beginnt. Das kann auch mit den besten Absichten geschehen, wenn z.B. Geschwister doch ganz ohne Probleme alles mitgemacht haben. Hier werden wir daran erinnert:  Auch eine Familie besteht aus einzelnen Menschen – ein jeder muss hier seinen Platz und später seinen Platz in der Gesellschaft finden.

Die Probleme die Max hatte und die damit verbundenen Psychomotorikstunden, führten nicht zu einer Diagnose – sondern zu seinem starken Selbst!